Postchef Frank Appel
Die Deutsche Post DHL hat eine Zukunfts-Studie mit Trends bis ins Jahr 2020 und darüber hinaus veröffentlicht. „Delivering Tomorrow - Kundenerwartungen im Jahr 2020 und darüber hinaus” enthält Expertenmeinungen und Analysen zu den Bereichen Globalisierung, Wirtschaft, Technologie, Logistik, Umwelt und Gesellschaft. Frank Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post DHL, erläutert die Hintergründe der Studie und ihre Ergebnisse.
Herr Appel, warum wollen Sie mit einer Studie einen Blick in die Zukunft werfen?
Frank Appel: Wie jedes langfristig ausgelegte Unternehmen will sich die Deutsche Post DHL nicht von Entwicklungen überraschen zu lassen, sondern selbst gestalten. Deshalb haben wir mit Wirtschaftsfachleuten und Wissenschaftlern sowie unter Einbeziehung unserer Kunden eine globale Delphistudie aufgelegt. Wir haben potenzielle zukünftige Szenarien aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und bewertet. Im Unterschied zu anderen Methoden liefert eine aufwendige Delphistudie belastbarere Ergebnisse über die großen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Trendlinien. Wir nutzen diese umfassende Untersuchung, um Ansätze für die Positionierung unseres eigenen Konzerns in der Zukunft zu bekommen. Gleichzeitig können wir auch unseren Kunden und Geschäftspartnern durch diese Zukunftsszenarien eine wertvolle Orientierungshilfe bieten.
Was wollten Sie konkret erfahren?
Appel: Es ist generell wichtig, eine Vorstellung davon zu haben, wohin sich die Welt in den nächsten 10 Jahren und darüber hinaus entwickeln wird. Wir stellen uns dabei vielfältige Fragen: Wie sieht die Weltwirtschaft nach der Krise aus? Wird durch die Verringerung des CO2-Ausstoßes dem fortschreitenden Klimawandel ausreichend begegnet? Was kennzeichnet die Energieversorgung der Zukunft? Welche gesellschaftlichen Trends werden in den kommenden Jahren wichtig? Wie wirken sich diese auf das Verhältnis zu unseren Kunden aus und werden sich deren Bedürfnisse dadurch grundlegend wandeln? Werden wir zukünftig mit der Ressource „Bildung” verantwortungsvoller umgehen? Und ganz speziell: Wohin steuert die Logistik und wie kann sie eine lebenswerte Zukunft mitgestalten?
Haben Sie schon erste Antworten?
Appel: Um solche und weitere Fragen beantworten zu können, haben wir uns an die besten Kenner der Materie gewand, die es meiner Meinung dafür gibt: unsere Kunden. Denn nicht wir selbst sollten die Antworten darauf geben, sondern diejenigen, für die wir täglich unsere Dienstleistungen erbringen. Wir haben also zuerst mit Experten einen Thesenkatalog erarbeitet und diesen dann 900 Führungskräften aus unserem Kundenkreis vorgelegt. Kundenorientierung beginnt mit Zuhören! Deshalb haben wir unsere Kunden ganz konkret gefragt, was sie heute wollen und in der Zukunft erwarten. Es gibt also jetzt eine ganze Reihe von aussagekräftigen Hinweisen.
Und was erwartet der Kunde zukünftig?
Appel: In unserem Studiebericht finden Sie Analysen zu den verschiedensten Bereichen, wie Globalisierung, Wirtschaft, Technologie, Logistik, Umwelt und Gesellschaft. Es ist daher schwierig die Ergebnisse dieser breit angelegten Studie auf einige wenige Schlagworte zu reduzieren. Generell zeigt sich aber, dass die Themen Nachhaltigkeit, Bildung und gesellschaftliche Verantwortung für Unternehmen immer wichtiger werden. Bereits heute bereiten wir mit unseren Programmen GoGreen und Teach First Deutschland auf die Herausforderungen der Zukunft vor. Wir haben frühzeitig entscheidende Schwerpunkte gesetzt.
Eine aktuell ganz wichtige Erkenntnis ist aber auch, dass die Mehrheit der Befragten durchaus optimistisch ist und daran glaubt, dass die globale Marktwirtschaft durch die derzeitige Wirtschaftskrise nicht nachhaltig gefährdet ist. Trotz vieler negativer Zahlen und Entwicklungen glauben die Business-Experten, dass man mit marktwirtschaftlichen Mechanismen die globalen Probleme in den Griff bekommen kann.
Stichwort Ökologie: Wie grün ist die Wirtschaft im Jahr 2020?
Appel: Für die meisten Experten ist der Klimawandel die größte Gefahr und wird daher eine grüne Revolution bei Produkten und Dienstleistungen auslösen. Die Erderwärmung zwingt Regierungen zum Umdenken - und auch jeder Einzelne wird durch die allgegenwärtige Bedrohung sein Bewusstsein und sein Handeln verändern. Mehr Menschen werden 2020 zum Beispiel Autos mit alternativen Antrieben fahren. Sie entscheiden sich auf vielen Ebenen bewusst für umweltfreundliche Angebote. Dafür werden sie auch in Kauf nehmen, dass sie etwas tiefer in ihren Geldbeutel greifen müssen. Mancherorts wird es zur staatlichen Pflicht werden, dass Produkte so gekennzeichnet werden, dass Kunden erkennen können, wie viel CO2 bei Herstellung und Transport eines Produkts anfallen. Verbraucher werden viel stärker als heute entsprechende Produktinformationen einfordern und ungekennzeichnete Waren und Dienstleistungen meiden. Dieses Kundenverhalten wird die Umweltstandards der Wirtschaft stärker beeinflussen als staatliche Regulierung. Die Welt in 10 Jahren wird grüner sein, also werden auch Unternehmen grüner sein müssen, um zukünftig Erfolg zu haben.
Wie reagiert Ihr Konzern darauf?
Appel: Eine möglichst umweltschonende Logistik ist für uns eine strategische Zukunftsaufgabe. Wir bieten beispielsweise bereits heute einen CO2-neutralen Versand an. Und als erstes Logistikunternehmen haben wir uns ein eigenes Klimaschutzziel mit konkreten CO2-Einsparungen gesetzt. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Allerdings sagt uns die Delphistudie auch, dass dies 2020 viele Nachahmer gefunden haben wird. Wir müssen daher weiter innovative Akzente setzen.
Die Logistik gilt als lebenswichtige Dienstleistungsbranche in einer globalisierten Wirtschaft, aber nicht eben als innovativ. Wird sich das ändern und wie?
Appel: Die Experten sind, wie ich auch, überzeugt, dass die Logistik zum Trendsetter wird und neue Standards setzt. Der Innovationsdruck steigt schon heute. Unsere Kunden sagen uns voraus, dass der Ölpreis bis 2020 auf 300 US-Dollar pro Barrel steigen könnte. Alternative Antriebe werden auf dem Vormarsch sein. Aber erneuerbare Energien, auch dies eine Erkenntnis unserer Kunden, haben sich bis dahin noch nicht als Hauptenergiequellen durchgesetzt. So werden die Mega-Citys der Zukunft den Zustellverkehr streng regulieren und heute noch konkurrierende Logistikdienstleister müssen sich dann kooperativ Netze und Ressourcen teilen.
Und was erwartet der Privatkunde von einem Logistikunternehmen?
Appel: Obwohl im Jahr 2020 vieles anders sein wird, wird der Kunde in seinem Verhalten gleich bleiben: anspruchsvoll und immer auf der Suche nach der für ihn einfachen Lösung. Der Privatkunde der Zukunft erwartet, dass ihm das, was er einkauft - überwiegend im Internet, denn große Teile der Weltbevölkerung sind 2020 kontinuierlich online -, sofort geliefert wird. Die Zustellung an die Privat- oder Firmenadresse ist nur eine Möglichkeit. Weitaus häufiger möchte er die Sendung punktgenau an den Ort geliefert haben, an dem die Ware gerade benötigt wird. Es wird eine Kernaufgabe der Logistik sein, diese Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen und gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Der Geschäftskunde ist nicht weniger anspruchsvoll: Er erwartet, dass die Logistik seine Prozesse mitdenkt und auch immer mehr Aufgaben übernimmt. Daher muss die Informationslogistik, der Austausch zwischen Logistikanbieter und Kunde, noch viel transparenter werden als heute.
Die Delphistudie wurde zeitgleich mit Ihrer neuen, bis ins Jahr 2015 geltenden Konzernstrategie erstellt. Gibt es Überschneidungen?
Appel: Der Einfluss der Studie auf unsere Konzernstrategie ist offensichtlich. Wir wissen jetzt sehr viel besser, was unsere Kunden von einem Logistikunternehmen erwarten: Sie verlangen mehr als Transport, Supply Chain Management, Outsourcing, Flexibilität und Transparenz. Was sie erwarten, ist perfekter Service und gleichzeitig die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung. Wir müssen durch unsere Dienstleistung das Leben unserer Kunden ein Stück einfacher machen. Je eher wir diese Anforderungen erfüllen, desto schneller wandeln wir uns von einem großen Logistikanbieter mit guten Leistungen zu einem exzellenten Logistikanbieter mit begeisterten Kunden.
Den 11. September und die Wirtschaftskrise hat niemand vorhergesehen, auch die Schweinegrippe kam überraschend, während sich die warnenden Stimmen noch auf die Vogelgrippe konzentrierten. Wie zuverlässig sind nun die Prognosen einer Delphi-Studie?
Appel: Eine Delphistudie kann genaue Zukunftsprognosen zu spontan eintretenden Ereignissen nicht liefern. Aber im Unterschied zu anderen, weniger aufwendigen Methoden bieten Delphistudien genauere und belastbarere Ergebnisse über die großen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen von morgen - sofern Trendlinien heute bereits erkennbar sind. Zum Thema Schweinegrippe: Dieses Ereignis hat unsere Studie natürlich nicht vorhergesehen. Wohl aber hatten wir die Experten nach der Gefahr befragt, die von Seuchen ausgeht. Die Ergebnisse sind beruhigend. Sie zeigen, dass es immer wieder zu Pandemien kommen wird, die jedoch medizinisch beherrschbar sind und keine gravierenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft nach sich ziehen.
Die Studie benennt aber auch Problemfelder, die ungelöst bleiben, wie die Überbevölkerung der Erde, die nach Mehrheitsmeinung unabwendbar ist. Der Kampf um Ressourcen, die Gefahr dass viele heutige Entwicklungsländer Verlierer bleiben werden. Und die Studie behauptet, dass sogar in europäischen Ländern autoritäre und undemokratische Bewegungen Zulauf erhalten und Unruhen wahrscheinlicher werden.
Appel: Ja. Die Welt in 10 oder 20 Jahren wird weit davon entfernt sein, eine perfekte Welt zu sein. Wir dürfen aber vor diesen Gefahren nicht die Augen verschließen, sondern müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, wie wir diese Probleme lösen werden. Ein Ansatzpunkt dazu ist der Wohlstand in einer wissensbasierten Gesellschaft. Die Grundlage dazu ist Bildung.
Der optimistische Grundtenor unter den Studienteilnehmern überwiegt. Bei Ihnen auch?
Appel: Dazu ein eindeutiges Ja! Früher gab es einen sehr naiven Glauben an den ewigen Fortschritt. Naiv deshalb, weil er auf eine perfekte Welt mit perfekten Menschen abhob. Das Ziel werden wir nie erreichen. Dennoch ist das Streben nach Fortschritt etwas zutiefst Menschliches. Dass die Welt von Morgen eine bessere Welt ist, hat sich in der gesellschaftlichen Entwicklung auch immer wieder bewahrheitet.
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